M A N I C H Ä I S M U S: 

Das vergessene Christentum des Herzens


Im Gespräch mit Roland van Vliet über Gut und Böse
und ein authentisches Christentum
Aus INFO3, März 2008



Interview
Herr van Vliet, Sie sind ja ein Kenner von Manichäismus und Gnosis. Gibt es neue Erkenntnisse aufgrund erst jetzt gefundener oder ausgewerteter Texte, wie z. B. dem Kölner Mani-Kodex?
Es gibt viele neue Erkenntnisse. Gerade der Kölner Mani-Kodex, den Sie gerade erwähnt haben, hat gezeigt, dass der Manichäismus - wie irrtümlich angenommen - keine persische, stark dualistisch geprägte Geistesströmung ist, sondern eine christliche. In dem Kölner Mani-Kodex ist zu lesen, dass Mani bei den „Täufern" aufgewachsen ist. Das wusste man zwar schon früher aus anderen Quellen. Aber in dem Kölner Kodex, der 1969 bekannt und dann rund 20 Jahre lang genau wissenschaftlich untersucht wurde, steht, dass Mani bei den jüdisch-christlichen „Elchasaiten" aufwuchs und schon als etwa vierjähriges Kind Christus, den Heiland, ins Zentrum seiner Andacht stellte. Diese Erkenntnisse bedeuteten seinerzeit eine Revolution in der Wissenschaft. Deshalb können wir sagen, dass der Ur-Manichäismus keine persische Religion war, die erst durch Missionierung eine christliche Färbung bekam, sondern dass es genau umgekehrt war. Ursprünglich war der Manichäismus christlich und gehörte zum Ur-Christentum. Erst später hat Mani dann sein Gedankengut für den persischen Kaiser Schapur I. der Lehre Zarathustras angepasst.

So hat Mani beispielsweise das Sonnenwesen "Ahura Mazda" ; das im persischen Zoroastrismus als "große Aura" verehrt wird, mit dem Christus in Verbindung gebracht und damit verdeutlicht, dass diese vorchristliche Religion selber im Kern eine christliche Substanz hat.
Natürlich ist es auch sehr wichtig, dass Mani als christlicher Theosoph verschiedene Religionen miteinander verbunden hat und in manichäischen Texten etwa der Name "Ahura Mazda" mit dem "Urmenschen" oder "Christus" verknüpft wurde - mit eine Voraussetzung dafür, dass man zu einer Übereinstimmung der verschiedenen Religionen kommen kann.

In einem der liturgischen Texte der anthroposophischen "Christengemeinschaft", ich glaube im Glaubensbekenntnis, heißt es in etwa: "Ein allmächtiges, geistig-physisches Gotteswesen ist der Daseinsgrund der Himmel und der Erde"; ein Spruch, der von Rudolf Steiner übermittelt wurde. In vielen Texten des Gnostizismus, zu dem Kurt Rudolph in seinem Standardwerk "Die Gnosis" auch den Manichäismus rechnet, wird dieser "Daseinsgrund", zumindest was die physische Seite der Welt; die Materie, die "Hyele", betrifft, als böser "Schöpfergott" angesehen. Der sogenannte "Demiurg" steht einem guten "Vatergott" - manchmal ist sogar von einer Art "Muttergott" die Rede - diametral entgegen. Welche Haltung nehmen in dieser Frage Mani und seine Anhänger ein?
Meiner Meinung nach darf man den Manichäismus nicht als Gnostizismus bezeichnen. Denn unter Gnostizismus verstehe ich eine Strömung, in der sehr stark der Dualismus ausgeprägt ist. Und der besagt: Es gibt einen Gottesfunken in dir und der gehört nicht zu dieser Welt. Eine böse Gottheit hat diese Welt geschaffen, von der sich die Seele befreien muss. Diese Haltung ist meiner Auffassung nach nicht manichäisch, weil im Manichäismus sehr stark zum Ausdruck kommt, dass unsere Welt durch den lebendigen Geist des Vaters geschaffen wurde und dass es eine gute Welt ist, auch wenn in dieser Welt eine gemäßigte Form des Dualismus zwischen Gut und Böse besteht. Diesen Gegensatz zwischen Gut und Böse hält der Manichäismus für ganz wichtig. Man lernt nämlich auf diese Weise, dass der lebendige Geist des Vaters die Welt geschaffen und das Böse nur deshalb zugelassen hat, um eine Weiterentwicklung des Menschen zu ermöglichen: Eigentlich eine sehr moderne Einstellung, dass das Böse bloß deshalb zugelassen wird, weil es eine Funktion hat - für die Entwicklung des Guten.

"Das Böse ist zugelassen in der Welt,
weil es eine Funktion hat für die
Entwicklung der Liebe, die das Böse
dann wiederum überwinden kann."


Da denkt man natürlich unwillkürlich an Goethe und den Ausspruch Mephistos im Faust: "Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft". Wie steht denn Mani zum Mysterium des Bösen überhaupt? Unterteilt er dieses auch wie Rudolf Steiner in Luzifer und Ahriman?
Wenn man das anthroposophisch ausdrücken möchte, muss man sagen, dass es eine große Entwicklung gab, bereits vor der Erschaffung unserer Welt. Insgesamt gibt es sieben große Kosmoi. Unsere Welt ist davon die vierte, von deren Schöpfung die Genesis erzählt. In der Zeit vor der Genesis hat es nach manichäischer Auffassung bereits einen Lichtkosmos gegeben, der von der Welt der Finsternis bedroht wurde, die vom geistigen Vater zugelassen worden war.
"Ahriman" - übrigens eine Bezeichnung der persischen Manichäer - hat dann diese Lichtwelt bekämpft, die nun auf die Bedrohung durch die dunklen Kräfte reagieren musste. Jedoch, so heißt es weiter, gab es in der Lichtwelt keine Waffen, mit denen sie hätte kämpfen können, da in ihrem Reich allein Licht und Liebe herrschten. Deshalb sollte sich der Urmensch oder Christus - alles vor der Zeit, von der die Genesis spricht - in einem Liebesopfer mit der Welt der Finsternis verbinden, um auf diese Weise die rebellischen Kräfte zu besänftigen. Dass das Böse überhaupt zugelassen war, liegt daran, dass die Lichtwelt in einer kontemplativen Ruhe erstarrt war. Durch den "Stachel des Bösen", wie dies ja auch im Faust zum Ausdruck kommt, sollte dieses Licht allmählich in Liebe umgewandelt werden. Anthroposophisch ausgedrückt: Ursprünglich war das "Licht" noch luziferisch und sollte durch die Kraft Ahrimans zur Christus-Liebe metamorphosiert werden.
Das ist in meiner Forschung überhaupt das phänomenologische Wesensmotiv des Manichäismus: Dass das Gute - ohne sein eigenes Wesen zu verlieren - sich in Liebe mit dem Bösen verbindet, damit dieses umgeformt werden kann. Dies auch bei sich selber zu tun, ist meiner Meinung nach heute eine wichtige Aufgabe für die Menschheit.
In manchen Psalmen der Manichäer scheint es aber auch eine Art Weltflucht gegeben zu haben, wie wir sie von vielen gnostischen Werken her kennen. Absolut bejahend wird die Materie und das Böse als Diener des Guten in vielen mir bekannten manichäischen Texten jedenfalls nicht geschildert. Warum?
Auf der Ebene der Kosmologie ist der Manichäismus ein gemäßigter Dualismus. Das Böse ist zugelassen in der Welt, weil es eine Funktion hat für die Entwicklung der Liebe, die das Böse dann wiederum überwinden kann. Auf der Ebene der Seele hingegen findet sich in manichäischen Texten eine weitaus stärkere dualistische Tendenz. Das liegt daran, weil es für Mani wichtig war, einen Unterschied zwischen Gut und Böse in der eigenen Seele zu machen. Keinesfalls sollte der Schüler zu früh sägen: "Ah, das Böse gehört eigentlich zum Guten als eine Funktion des Guten". Denn sonst hätte eine Art moralische Perversität die Folge sein können. Lediglich gegenüber den manichäischen "Auserwählten", den sogenannten "Electi", die als Eingeweihte für derartige Erkenntnisse reif genug waren und offensichtlich eine übersinnliche Schau besaßen, hat Mani sich differenzierter ausgedrückt. Zunächst muss also auf einer Ebene der Unterschied zwischen Gut und Böse in der eigenen Seele erkannt werden - wie dies ja auch in den johanneisch gefärbten Psalmen der Manichäer, dass man die Welt ablehnen muss, zum Ausdruck kommt. Doch dann kann auf einer weiteren Ebene davon gesprochen werden, dass es das tiefere Geheimnis des Bösen ist, eine positive Funktion für die weitere Entwicklung des Guten zu haben.

Mani hat also offensichtlich - je nach Publikum - differenziert gesprochen?
Ja, das stimmt. Auch Jesus Christus hat ja zu seinen Jüngern anders gesprochen als zum einfachen Mann auf der Straße. Aber gerade diese Differenzierungen - und natürlich die Behauptungen der dem Manichäismus feindlich gegenüber eingestellten traditionellen "Kirchenväter" - haben mir anfangs beim Einarbeiten in die Materie viele Probleme bereitet. So gab es z.B. missverständliche Äußerungen, Manichäer hätten angeblich gesagt, dass der Teufel den Menschen erschaffen habe und Christus nicht wirklich Mensch geworden sei, weil es einfach undenkbar sei, dass er in einem verderblichen Leib habe wohnen wollen. Nach intensiven Forschungen in den neu gefundenen Texten der Manichäer habe ich aber festgestellt, dass diese Aussage nicht der Wahrheit entsprechen. Die Menschheit ist demnach nicht durch den Teufel geschaffen worden. Ahriman hat nur dabei geholfen, den physischen Körper zu bilden, allerdings aus der Perspektive des Christus heraus. Auch stimmt es nicht, dass Manichäer behaupteten, Christus habe keinen Körper besessen. Vielmehr ist ihrer Auffassung nach Christus bei der Jordan-Taufe Mensch geworden, hat also das Körperliche nicht vernachlässigt oder abgelehnt. Deshalb hat ja auch die Auferstehung überhaupt einen Sinn. Der Manichäismus ist also im Kern christlich und nicht gnostisch.

Kommen wir zu den Themen Geld und Armut. Die Ablehnung von Geld und Reichtum war bei den Manichäern weit verbreitet. Ist eine derartige Haltung, in Sack und Asche herumzulaufen, wie dies manchmal auch noch in anthroposophischen Kreisen zu beobachten ist, heute überhaupt noch zeitgemäß? Denn diejenigen, die kein Geld haben und arm sind, denken oft an nichts mehr als an Geld - um über die Runden zu kommen.
Ursprünglich war dieses Armutsgelübde - wie dies auch im Mittelalter bei den manichäisch geprägten Katharern zu beobachten war - als ein Mittel zur Erneuerung und Verinnerlichung des Christentums gedacht, um sich vor allem später von der dekadenten und in Völlerei schwelgenden katholischen Kirche abzusetzen. In unserer Zeit aber ist ein Armutsgelübde kein, geeigneter Weg mehr. Überhaupt sollte der Manichäismus heute eine Metamorphose durchmachen. Das gilt auch für die Sexualität, die man annehmen und nicht - wie dies früher bei den Electi Usus war - ablehnen sollte. Es ist wichtig, dass man in unserer Zeit manichäisch mit Geld umgeht, und damit meine ich, dass man auch eine Liebe gegenüber dem Bösen entwickelt, um mit dem Geld vernünftig und moralisch richtig wirtschaften zu können.

Was sind eigentlich die Kernaussagen der Manichäer? Ich nenne mal ein paar Stichworte: "Urmensch", "Christus, "Jesus patibilis", "leidende Weltenseele". Das sind so Begriffe, die immer wieder in manichäischen Schriften auftauchen. Die manichäische Gleichsetzung des Urmenschen mit dem Christus beispielsweise klingt dabei für mich sehr ungewöhnlich.
Was wir in der Schule gelernt haben, dass die Schlange im Paradies Eva verführt hat und dass wir diesen Vorgang negativ bewertet haben, sieht Mani etwas anders. Er sagt: Diese Schlange ist eigentlich Jesus oder genauer: "Jesus, der Sonnenglanz", bzw. Christus in übermenschlicher Gestalt vor seiner Menschwerdung. Und dieser habe dann Adam in wahrer Erkenntnis unterrichtet. Es handelt sich also um eine umgekehrte Bedeutung des Sündenfalls als wir ihn von der katholischen Kirche her kennen.
Sehr wichtig im Manichäismus ist der Begriff "Jesus patibilis". Damit meinen die Manichäer die Ausströmung der Christus-Seele in alle "Dinge", jedoch noch vor der Schöpfung, wie sie in der Genesis geschildert wird. Das heißt, in jeder Pflanze, in jedem Stein, in jedem Tier, aber besonders im Menschen lebt ein Teil dieser Christusseele, die durch das Liebesopfer des Christus (als Seele des Urmenschen) in die Welt gebracht worden ist. Und das haben die Manichäer "Jesus patibilis" oder die "leidende Weltenseele" genannt. Darin drückt sich auch das moralische Verhältnis der Manichäer zur Welt aus: Weil man eine Liebe für "Jesus patibilis" hat, deshalb hat man auch eine Liebe zur Natur - übrigens eine Einstellung, die untypisch für den Gnostizismus ist, aber auch sehr charakteristisch für das keltische Christentum. Man versucht also, die Natur zu erlösen und eine tröstende Andacht zu haben für alles, was lebt in der Welt. Meiner Meinung nach das Wichtigste im Manichäismus.

Manche halten den Manichäismus für die "zweite Hauptströmung des Christentums", eine Weltreligion, die allerdings - wie viele andere gnostische Tendenzen auch - ab etwa dem 4. Jahrhundert von traditionellen Christen brutal verfolgt und letztlich ausgerottet wurde. Was führte zum Untergang der Manichäer und damit auch zum Ende der christlichen Vielfalt im frühen Christentum?
Der Manichäismus war einst vom Stillen Ozean bis zum Atlantik weit verbreitet. Wieso dieser "zweite Hauptstrom des Christentums" untergegangen ist? Ein Grund dafür liegt sicher in der Freundschaft Manis mit dem persischen Kaiser Schapur I., der übrigens auch den Manichäismus in seinem großen persischen Reich als Religion zugelassen hat.

"... in jeder Pflanze, in jedem Stein, in jedem Tier,

aber besonders im Menschen lebt ein Teil

dieser Christusseele..."

 

Auch in Indien gab es Manichäer. Doch den römischen Kaiser störte diese Verbindung mit dem persischen Herrscher und so erließ Diokletian ein Edikt, das den Manichäismus verbot. Die zweite und vielleicht noch wichtigere Ursache liegt jedoch darin, dass Augustinus neun Jahre lang Manichäer gewesen ist, dann aber 33 Bücher und 6 Traktate geschrieben hat, die den Manichäismus bekämpften. Das hat sehr viel dazu beigetragen, dass diese Geistesrichtung von der katholischen Kirche als Ketzerei abgelehnt wurde. Der Hauptgrund, dass das Urchristentum mit seiner beeindruckenden Vielfalt - wie dies zum Beispiel in den Nag Hammadi-Funden zum Ausdruck kommt - und mit seiner religiösen Toleranz im 4. Jahrhundert zu einem Ende kam, liegt aber u.a. auch darin, dass Augustinus den Manichäismus dogmatisch verurteilt und bekämpft hat, obwohl er durchaus würdigte, dass die Manichäer Christus mystisch tief in ihre Seele aufgenommen haben.


Welchen Einfluss haben andere Religionen auf den Manichäismus gehabt, etwa zarathustrische oder buddhistische Strömungen?
Noch Marco Polo hat Manichäer, denen er in China begegnete, gefragt, ob sie Buddhisten oder eher Christen seien. Und sie haben geantwortet: "Christen!" Allerdings waren sie stark vom Buddhismus beeinflusst. Der Manichäismus war in China überhaupt stark verbreitet. Unbehelligt von Katholizismus und Islam war diese Geistesströmung dort bis ins 16. Jahrhundert hinein noch weit verbreitet. Sehr interessant ist natürlich, wie Mani selber über andere Religionen gedacht hat. Durch geistige Schauung, und zwar durch den sogenannten "Paraklet", also durch den Heiligen Geist in einer persönlichen Form, hat er erfahren, dass Buddha in Indien, Zarathustra in Persien, Hermes in Ägypten, Laotse in China und Plato in Griechenland, dass all diese großen Menschheitslehrer Lichtapostel gewesen waren - des einen Christus. Ein Faktum, das ich als "christliche Theosophie" bezeichnen möchte. Für Mani war es allerdings nicht so wichtig, das in seiner Geistesschau erlebte Wesen auch "Christus" zu nennen. Bezeichnungen wie "Ahura Mazda" oder "Osiris" oder "Vishnu" waren für Mani ebenfalls akzeptabel. Das Neue hierbei war allerdings, dass Mani nun verkündete, dieses Wesen - wie auch immer man es bezeichnen mag - ist jetzt in Judäa Mensch geworden, hat sich ganz verbunden mit der Welt und ist nun wirklich das Licht der Welt bis zum Mittelpunkt der Erde und ermöglicht es nun auch der Erde, sich zu transformieren.
Mani hat eine direkte Verbindung mit der geistigen Sonne der Weisheit gehabt, was letztlich auch der Grund dafür ist, dass er als "Licht der Lichter" - wie der Gral genannt worden ist durch Wolfram von Eschenbach - überhaupt eine Synthese des Wissens der früheren Weisheitslehrer geben konnte. Und weil wir jetzt gerade den Gral erwähnt haben, sollten wir vielleicht auch sagen, dass Rudolf Steiner Parzival als eine Reinkarnation Manis im 9. Jahrhundert betrachtet hat.

Viele der gnostischen Gemeinschaften waren einst, wie in Elaine Pagels Buch "Versuchung durch Erkenntnis" zu lesen ist, demokratisch, antihierarchisch, strukturiert. Die katholische, orthodoxe und protestantische Kirche, ja auch die Christengemeinschaft, sind hierarchisch aufgebaut. Ist diese Struktur im Sinne eines manichäischen Christentums eine überholte Form?
In unserer Zeit, in der Zeit der Bewusstseinsseele, ist diese hierarchische Form nicht mehr so wichtig, sondern vielmehr - auch im Sinne Manis - ein Universalsakramentalismus. Und das bedeutet, dass jeder Mensch ein Priester sein kann, dass wir füreinander Priester sein können. Darin drückt sich dann auch die Liebe für den "Jesus patibilis" aus, dass jede Wahrnehmung, jede Handlung so vollzogen werden kann, dass man fühlt, dieser Baum oder dieser Mensch ist eigentlich Christus.

Wie könnte heute ein wiederbelebtes manichäisches Christentum aussehen? Fühlen Sie sich da persönlich als Lehrer berufen, als ein Electus unserer Zeit? Immerhin haben Sie ja nach eigener Aussage schon Erleuchtungserlebnisse gehabt.
Ich selber habe noch vor meiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Manichäismus einen eigenen Weg zum Christus gesucht. Eine große Hilfe war dabei für mich die von mir so bezeichnete "Ungeteilte Aufmerksamkeit", eine wirksame Methode auch mit dem Bösen umzugehen - auch in mir. Dabei geht es nicht darum, das Böse zu verurteilen, sondern vielmehr darum, in Geistesgegenwart mit liebevollem Interesse zu beobachten, was in und um einen herum in jedem Augenblick geschieht. Auch zu verstehen, dass Liebe für den Christus opfernde Liebe für die ganze Menschheit und Natur ist. Nach intensivem Üben erfasste mich dann, als ich 23 Jahre alt war, ein sehr starkes Geistesfeuer. Da erlebte ich den Geist des Christus, der mich völlig durchdrang, hatte also eine Art Erleuchtung. Später habe ich dann bei der Rekonstruktion des Manichäismus dieses Geistesfeuer in starkem Maße wiedergefunden, was man auch die Tröstung durch den Paraklet nennen könnte. Vor diesem Hintergrund finde ich es gerade in unserer Zeit wichtig, aus dieser geistigen Substanz, die sich mir durch die innere Entwicklung offenbart hat, mit Menschen zusammenzuarbeiten und auch deren persönliche Entwicklung zu fördern, aber ebenfalls unsere äußere Kultur, damit wir eine Schale sein können für den Christus-Geist und sich auch das Christentum weiter entwickeln kann.

Das Gespräch führte Thomas Senne.

Rudolf Steiner hielt einen Vortrag über Manichäismus --> HIER lesen Sie mehr.

Siehe auch : www.manisola.eu

Literaturhinweise:
Elaine Pagels: Versuchung durch Erkenntnis. Die gnostischen Evangelien, Insel Verlag, 1981
Eugen Roll: Mani, der Gesandte des Lichts, Mellinger Verlag, 1989
Kurt Rudolph: Die Gnosis, Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, 2005
Rudolf Steiner: Die Tempellegende und die Goldene Legende, Rudolf Steiner Verlag, 1979
Roland van Vliet: Der Manichäismus. Geschichte und Zukunft einer frühchristlichen Kirche, Urachhaus Verlag, 2007